Darauf wäre Kafka neidisch...
Hallo meine Lieben ich habe gestern eine Geschichte erlebt, die es wert ist, aufgeschrieben zu werden:
"Können Sie bitte genauer beschreiben, um was für eine Art von Käse es sich handelte?", fragte der Polizist und blickte mich dabei mit todernster Miene an.
Der genaue Sinn seiner Worte verbarg sich dabei leider hinter genuscheltem Ungarisch, weshalb meine Mentorin für mich übersetzten musste. Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich den ersten Polizisten mit Sinn für Humor vor mir stehen hatte, oder ob der das ernst meinte. Das ungeduldige Klicken seines Kugelschreibers überzeugte mich dann aber doch davon, dass es unangebracht wäre, laut loszulachen. Stattdessen versuchte ich ihm begreiflich zu machen, dass es weißer Käse war, liebevoll in kleine Dreiecke verpackt. Mit einem verständigen Nicken nahm er es zur Kenntnis und notierte es.
"Und die Schokolade? Welche Marke? Wieviel?"
Am Tag zuvor:
"Marcsi?"
Keine Antwort
"Marcsiii?"
Wieder keine Antwort.
Minuten zuvor hatte ich den Nachbarjungen von unserer Haustür vertrieben, wo er es sich zum Spaß gemacht hatte Klingelstreiche zu spielen. Sicherheitshalber hatte ich die Tür abgeschlossen. Dann jedoch musste einem dringenden Bedürfnis Genüge getan werden. Als ich von der Toilette zurückkehrte gaffte mich eine weit offen stehende Haustür an. Wie war das möglich? War Marcsi unerwartet früher zurück gekommen? Wer sonst könnte die abgeschlossene Tür öffnen (und ja, ich hatte sie mit 100%iger Sicherheit abgeschlossen, was ich später auch verzweifelt der Polizei klar zu machen versuchte).
Nachdem die erste Schrecksekunde verstrichen war, stürmte ich in die Küche um nachzusehen, ob mein Laptop noch da stand, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Er stand! Aber was war denn das: dreckige Fußabdrücke auf dem blitzblank sauberen Küchenboden. Sie führten zielstrebig in Richtung Kühlschrank und Speisekammer. Ein Blick hinein verriet mir, dass ER wieder zugeschlagen hatte: der berühmt, berüchtigte SCHOKODIEB. Die gerade erst eigens aus Deutschland importierte Kinderschokolade und eine Stange Maoam konnte sich ebenso zu seinen Opfern zählen, wie Marcsis innig geliebter dreieckiger Käse.
Aber wie nur war er in das Haus gelangt? Handelte es sich hier etwa um eine höhere Macht? War er vielleicht mein personifiziertes schlechtes Gewissen, das mir die Schokolade nicht gönnen wollte? War er etwa ein WeightWatchers-Wichtel? Oder hatte ich ihn mir nur eingebildet? Bin ich vielleicht schizophren geworden und habe den Käse selbst geklaut?
Dererlei wirre Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, dass ich gar nicht auf die Idee kam die Polizei zu rufen. Ich fürchtete viel mehr ausgelacht zu werden, vor allem weil ich ja immer noch nicht erklären konnte, wie die Tür geöffnet wurde. Stattdessen versteckte ich meine Wertsachen im Kleiderschrank und ging zur Arbeit. Erst beim Abendessen mit meiner Mitbewohnerin (und ohne Käse) beschloss ich den Vorfall zu erwähnen. Ich hatte zwischenzeitlich schon zu zweifeln begonnen, ob ich die Tür nicht doch vielleicht offen gelassen hatte.
" Also, Marcsi....du fragst dich vielleicht, wo dein Käse geblieben ist. Ich fürchte, wir haben da ein kleines Problem mit dem Türschloss, -"
Hier unterbrach sie mich:
"Dir ist es also auch passiert? Grade fünf Minuten, bevor du kamst, war dieser Bengel wieder da und er stand plötzlich im Hausflur, obwohl ich mir sicher bin, dass die Tür abgeschlossen war!"
Was fiel mir da ein Stein vom Herzen. Der Beweis war erbracht, dass mein Gedächtnis, welches völlig unverdient den Spitznamen "das Sieb" trägt, mich nicht betrogen hatte. So kam es, dass wir tags drauf schließlich doch die Männer in blau nach Magyarmecske holten.
Gleich mit zwei Wagen rückte eine Truppe von Gesetzeshütern an. Ich wurde gebeten, den Tathergang möglichst detailliert zu schildern und so kam es, dass ich plötzlich mit einem ungarischen Polizisten darüber spekulierte, was wohl der ungefähre Wert einer Stange Maoam in Forint sei . Nachdem diese Frage geklärt und auch die genaue Art der Schokolade und des Käses Eingang in ungarische Polizeiakten gefunden hatten, musste der Tatort natürlich fotografiert werden. Die Küche, der Kühlschrank (einmal mit offener, einmal mit geschlossener Tür), die Speisekammer (selbes Prozedere) und aus irgendeinem unerfindlichen Grund auch mein Zimmer (vielleicht war es mein rosanes Schlafanzugoberteil mit Schmetterling drauf, was die Neugierde des Fotografen geweckt hatte).
Schließlich gelangten die Beamten zu dem Schluss, dass wir uns gerirrt haben mussten und die Tür offen gewesen war. Denn es waren ja keine Einbruchsspuren zu sehen.
Die Logik dieser Schlussfolgerung wagte ich nicht in Frage zu stellen, allein wusste ich nun mal, dass sie falsch war. Also zog ich Marcsi zur Seite:
"Was denkst du: könnte es einen dritten Schlüssel geben?"
"Hmmm...darüber habe ich noch nicht nachgedacht"
"Zumindest in Deutschland gibt es zu jedem Schloss 3 Schlüssel, Meinen, deinen und...?
Die Erkenntnis traf uns wie ein Schlag. Es musste einen dritten Schlüssel geben. Ich überließ es Marcsi, das den Polizisten schonend beizubringen und stellte mir nur vor, wie sich der Junge wohl fühlen würde, wenn die Polizei seine verdächtig schokoverschmierten Fingerabdrücke nehmen würde...
Heute, einen Tag später, weiß ich, dass unsere Vermutung zutraf. Das Ganze hatte sich folgendermaßen zugetragen. Kurz bevor wir Mitte September hier ankamen, wurde das Schloss an der Haustüre ausgewechselt von keinem geringeren, als dem Vater des Jungen. Dieser hatte sich dabei wohl irgendwie einen Schlüssel angeeignet und hat sogar zugegeben, bei seinem ersten Beutezug absichtlich das Badezimmerfenster von innen geöffnet zu haben, um eine falsche Fährte zu legen. Clever, clever...
Die Schuldirektorin, die die Verantwortung für die Wohnung trägt, zeigte sich einigermaßen beschämt über den Zwischenfall und so kommt es, dass wir mittlerweile nicht nur ein neues Schloss haben, sondern auch noch ein paar Möbel. Juppie! Zur Feier des Tages haben wir darauf erst mal ein Käsebrot gegessen und zum Nachtisch gabs Milkaschokolade (die mit den weißen Flecken...fürs Protokoll :)
Hoffe ihr hattet mit dieser Anekdote genau soviel Spaß wie wir. Es war mal wieder einer dieser Tage, wo man sich nicht sicher sein kann, ob man morgens wirklich aufgestanden ist, ober ob man immer noch im Bett liegt und träumt.
Ich für meinen Teil hoffe, dass ich zumindest jetzt wirklich in meinem Bett liege und wünsche euch allen eine gute Nacht und schöne Träume!
Sarah
sari1991 am 04. Oktober 13
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Daten; alles auf einen Blick!
Hallo meine Lieben,
seid gegrüßt aus dem verregneten Matschloch Magyarmecske. Ich habe mir gedacht, ich poste hier mal meine Kontaktdaten, weil ich ehrlich gesagt den Überblick verloren habe, wem ich jetzt schon was gesagt habe. Und da ich keinen vergessen möchte:
Meine Adresse:
Petőfi utca 18
7954 Magyarmecske
Hungary
(die langen, schrägen ö-Striche sind wichtig, weil beteutungsunterscheidend im Ungarischen)
Die nächstgrößere und sehr schöne Stadt heißt Pécs.
(Für alle die schon mal ein paar Bilder googeln wollen ;)
Mein Skypeaccount ist: sarah.braun91
meine ungarische Handynummer:
0036303770890
Das Dorf in dem ich arbeite: Gilvánfa.
Meine aktuelle Lieblingsfarbe: blau.
Schuhgröße: 41 (manchmal auch 41,5)
Hab ich was vergessen?
Wenn ja, einfach noch mal nachfragen!
Fotis kommen auch bald mal wieder. Versprochen, spätestens am Freitag!
So, jetzt geht es auf zur Arbeit, wo die Kinder wieder meine liebevoll gebastelten Vokabelkärtchen zerstören können ;)
Bis demnächst,
Sarah
sari1991 am 02. Oktober 13
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èn cîgányi
Sziástok!
die Überschrift liest sich in etwa so: "en ziganj" und bedeutet "Ich bin Zigeuner". Gesagt hat das ein ca. 10jähriger Junge zu mir, nachdem ich ihn nach seinem Namen gefragt habe.
Das hat mir schon irgendwie zu denken gegeben, deshalb lasse ich das jetzt mal so im Raum stehen.
Was ist die letzten Tage passiert: Nicht viel Neues und trotzdem eine ganze Menge. Ich habe mich ein bisschen aus meinem Schneckenhaus heraus gewagt und herausgefunden wie ich mich in der Tánuda am besten nützlich machen kann, solange meine Kommunikationsfähigkeit noch ziemlich eingeschränkt ist. Dabei hat sich gezeigt, dass vor allem Englisch Nachhilfe sehr gefragt ist. Unterrichtsmaterialien dazu sind nur ziemlich spärlich vorhanden, weshalb ich meine Vormittage diese Woche damit zugebracht habe, Vokabel-Memory mit Bildchen zu basteln und Nursery-Rhymes für die Kleinen zu suchen und einzustudieren. Außerdem habe ich versucht, die Kids mal ein bisschen zum Sprechen zu animieren. Viele können den Satz: My name is... zwar richtig schreiben, aber er will ihnen einfach nicht über die Lippen kommen. Deshalb haben wir kleine Rollenspiele gemacht etc... Ohne dass ich es je im Sinn gehabt hätte, bin ich zu so einer Art Lehrerin mutiert und das erschreckende ist: es macht sogar Spaß. Zumindest solange die Kinder mitmachen. Aber wie überall gibt es auch ein paar Störenfriede, die nichts lustiger finden, als meine Aussprache nachzuäffen und der gleichen. Das ist wahrscheinlich Berufsrisiko bei dem Job und mit der Zeit wird das denen auch langweilig werden...hoffe ich. Wahrscheinlich gibt es kein Patentrezept, wie man mit Problem-Kindern umgeht, aber falls es in meiner zahlreichen Pädagogen-Verwandtschaft jemanden gibt, der dazu etwas beisteuern möchte: Ich bin ganz Ohr!
Insgesamt betrachtet waren die letzten Tage aber sehr schön. Zum einen habe ich gemerkt, dass ich mich so langsam in Magyarmecske wohlzufühlen beginne. Sogar in unserer Wohnung. Nicht dass wir inzwischen Möbel hätten, aber irgendwie gewöhnt man sich an das Nichts um einen herum und die schallende Akustik in den Räumen. Die Straße, die Gesichter, alles wird Tag für Tag ein bisschen vertrauter. Zum anderen weil mir die Arbeit in der Tánuda wirklich Spaß macht und ich schon kleine Erfolge vorweisen kann. Ich habe mit den Kleineren das Lied "My big, fat Pony" einstudiert, samt zugehörigem Tanz und inzwischen können sie es auch (Gestern hatte ich sogar einen leichten Muskelkater, weil ich es an dem Tag bestimmt 50 Mal getanzt habe).
Mit dem Ungarisch lernen klappt es auch ganz gut, so dass ich in den Tánuda ganz allmählich das Gefühl habe, dazuzugehören.
Der krönende Abschluss war allerdings das allwöchentliche Musikprogramm. Jeden Freitag kommt ein Musiklehrer in die Tánuda und singt mit den Kindern Lieder auf Beás (die Sprache der Cîgányi. Zigeuner zu sagen, ist in Deutschland ja tabu, aber hier haben die Menschen nicht so viele Probleme damit. Die Umschreibung "Sinti und Roma" trifft es nämlich nicht so ganz, wie ich diese Woche gelernt habe, aber das nur am Rande). Für viele Kinder ist das die Muttersprache, die sie auch überwiegend zuhause sprechen. Ungarisch lernen manche erst im Kindergarten. Um die kulturelle Identität der Kinder zu stärken und damit dieses uralte Liedgut nicht verloren geht, gibt es dieses Musikprogramm an der Tánuda. Es war letzte Woche schon faszinierend dabei zuzusehen, weil die Kinder wirklich aus vollem Hals mitsingen und tanzen und auch schon die ganz Kleinen ein verblüffend gutes Gefühl für den Rhythmus haben. Aber diese Woche konnte ich sogar mitsingen. Ich habe mit der Leiterin der Tánuda Edit ein Lied eingeübt, das ich wirklich sehr schön finde. Hört es euch mal an, es lohnt sich:
http://www.youtube.com/watch?v=TPgBfeTZSto
Jetzt freue ich mich vor allem auf das Wochenende. Für alle, die es nicht schon wissen. Meine Schwester ist heute nach 14 Stunden im Auto, zum Teil auf ungarischen Straßen (ein Hoch auf die Erfindung von Stoßdämpfern) hier angekommen . Vor uns liegt leider nur ein gemeinsamer Tag, weil sie Sonntag früh auch schon wieder zurück muss, aber wir werden einfach das Beste daraus machen.
Machts gut und bis die Tage
Sarah
sari1991 am 28. September 13
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Magyarmecske!
Hallo meine Lieben,
ich bitte vielmals um Nachsehen, dafür, dass ich euch habe so lange warten lassen, aber die letzten Tage ist einfach sooo viel passiert, dass ich nicht zum Schreiben gekommen bin.
Das möchte ich jetzt nachholen.
Also Montag-Ankunft in Magyarmecske: nach ca. vierstündigem Geholper über ungarische Schlaglöcher, Pardon, Straßen habe ich das erste Mal mein Zuhause für die nächsten Monate erblickt. Magyarmecske ist eine kleine Ortschaft mitten in der Pampa. Das Ungewöhnlichste war, dass alle Häuser links und rechts der Hauptstraße stehen, die durch das Dorf führt. Es gibt keine Abzweigungen oder kleine Sträßchen innerhalb des Dorfes, alles steht entlang der großen, kerzengeraden Straße. Unser Haus ist ziemlich neu und Bad und Küche entsprechen durchaus deutschem Standard. Das Einzige was ich ein bisschen vermisse, sind Möbel. Die Zimmer sind ziemlich groß, aber eben so gut wie leer. Ich habe ein Bett und einen wirklich sehr, sehr kleinen Schrank. Das wars. Ich hoffe, wir können in nächster Zeit vielleicht wenigstens ein, zwei Tische auftreiben und wenn uns das Glück hold ist, auch noch ein Sofa.
Unser Empfangskomitee (Silvie, die Küchenchefin der Schulmensa, samt Gatte) hat uns mit Obst und Gemüse aus dem Garten und selbstgebranntem Pálinka willkommen geheißen. Letzteren mussten wir natürlich auch gleich verköstigen, wobei ich mir wirklich nicht sicher bin, ob das Zeug überhaupt zum Verzehr geeignet ist, oder man es doch eher nur als Desinfektionsmittel benutzen sollte. Aber die Liebenswürdigkeit der Geste an sich, hat mich dann doch dazu bewogen, meine Leber mit knapp 60%igem Alkohol zu vergiften. Am nächsten Tag stand zunächst die Besichtigung der örtlichen Grundschule auf dem Plan. Die Schule ist ziemlich neu und sehr modern eingerichtet. Alles in allem macht sie wirklich einen schönen Eindruck und es gibt auch eine Deutschlehrerin an der Schule, falls ich mal Sehnsucht nach ein paar vertrauten Klängen haben sollte. Ich werde allerdings nicht direkt in der Schule arbeiten, sondern in einer sog. „tánuda“, einer Art Nachmittagsbetreuung, im Nachbarort Gilvánfa. Diese Ortschaft ist eine reine Roma-Siedlung und ist einer soziologischen Studie der Budapester Universität nach, offiziell das ärmste Dorf Ungarns. Warum es diesen Titel trägt, habe ich in den letzten Tagen gesehen. Zunächst einmal sind die Häuser zum Teil recht heruntergekommen, von den Straßen gar nicht zu sprechen. Viel deutlicher aber, ist mir die Armut bewusst geworden, als ich ein paar der Kinder kennengelernt habe. Die Kinder und Jugendlichen können Montag bis Freitag von 14.00 - 19.00 Uhr in die tánuda kommen und bekommen dort Hilfe mit den Hausaufgaben, oder bei Bewerbungsschreiben oder sonstigen Problemen. Außerdem wird ihnen hier eine Art Freizeitprogramm geboten. Basteln, Mahlen, Spielen, Musik und Gesang und auch Computer mit Internetzugang.
Meine Aufgabe dort wurde mit in etwa so umschrieben: ich soll für die Kinder eine Art „Mittelklasse-Mensch“ Vorbild sein, damit sie einfach mal andere Lebensentwürfe kennenlernen. Viele von den Familien sind in der dritten Generation arbeitslos und die Mitarbeiter der tánuda wollen verhindern, dass die Kinder das als Normalzustand betrachten. Außerdem soll ich für sie eine Art Brücke sein zu der Welt außerhalb von Gilvánfa und Magyarmecske. Viele kommen bis zum Ende der Grundschule (die in Ungarn 8 Jahre dauert) nicht aus dem Dorf raus und haben dementsprechend große Probleme, wenn sie auf weiterführende Schulen in die 40 km entfernte Großstadt Pécs gehen wollen. Oder wie es mein „Chef“( die Atmosphäre ist ziemlich familiär, deshalb die Anführungszeichen) ausgedrückt hat: Ein Kind, das heutzutage mit 13 noch nicht weiß, was Mc Donalds ist, ist per se ein Außenseiter. Dementsprechend gering ist die Anzahl der Kinder, die überhaupt auf weiterführende Schulen gehen und noch geringer die Zahl derer, die sie auch abschließen. Die tánuda versucht an allen Ecken und Enden ein bisschen zu helfen; kümmert sich um den Kontakt zu weiterführenden Schulen, wenn die Eltern es nicht tun, gibt Nachhilfe, wenn erforderlich etc.
Die ersten Tage habe ich erst mal ganz viel zugeschaut, immer bewaffnet mit meinem Wörterbuch und meinem Vokabelheft oder hab die Kinder mit nonverbalen Aktivitäten, wie fangen spielen o.ä. auf Trab gehalten. Die Kinder, insbesondere die jüngeren sind sehr offen und anhänglich. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie sich über jedes Quäntchen Aufmerksamkeit freuen. Schon am ersten Tag hatte ich abends einen ganzen Fanclub um mich gescharrt, von Kindern, die mich umarmt haben und mich gar nicht mehr gehen lassen wollten. Am meistens mögen sie, glaube ich, meine lustige Aussprache und mein verständnisloses Gesicht, das sehr oft zutage tritt, wenn sie mit mir reden. Natürlich ist nicht immer alles eitel Sonnenschein aber das kann man sich auch denken, wenn man weiß, wo die Kinder herkommen.
Wer sich jetzt vielleicht fragt, was ich denn die übrige Zeit so getrieben habe, wenn ich täglich nur 5 h in der tánuda bin:
Die ersten zwei Tage haben ich und meine Mitbewohnerin damit verbracht die Wohnung zu putzen und nach Pécs zu fahren um groß einzukaufen. Wischmopp, Bügeleisen, Thermoskanne… Ich weiß, dass vor uns schon drei andere Freiwillige in der Wohnung gewohnt haben, was ich nicht weiß, ist WIE? Entweder haben die vom Besteck bis hin zum Waschmittel alles eingepackt, als sie gegangen sind, oder sie haben es irgendwie vermieden diese Dinge zu benutzen.
Die Tage darauf standen Behördengänge und sonstige Notwendigkeiten auf dem Plan, bei denen ich grob geschätzt 200 Formulare unterschreiben musste (die Deutschen sind NICHT Weltmeister darin, alles zu verbürokratisieren! Ich stelle die gewagte These auf, dass man ehemalige Sowjet-Staaten an zwei Dingen erkennen kann: hässliche Betonklötze und eine unerbittliche Vorliebe für Stempel und Unterschriften).
So verflog die Zeit und schon war es Sonntag. Dieser hielt für uns einige Höhepunkte und leider auch einen Tiefpunkt bereit.
Meine Mentorin Judit (auch eine Mitarbeiterin der tánuda), wohnhaft in Pécs hat uns zu einer Wanderung eingeladen, um den Hügel, zu dessen Füßen Pécs liegt zu erkunden. Berg will ich es nicht nennen, da er gerade mal 600 m hoch ist, aber wenn man die hiesige Topographie mit einem Pfannkuchen vergleicht, ist er sozusagen die Kugel Vanilleeis darauf.
Auf dem Gipfel kann man die Ruinen, von einem mittelalterlichen Kloster und wunderschöne Felsformationen und Höhlen bestaunen (Bilder werden mit der üblichen Verspätung nachgereicht).
Im Anschluss daran wurden wir mit selbstgemachten Langos (ungarisches Nationalgericht) verwöhnt. Es handelt sich dabei um (überraschenderweise) frittierte Teigfladen mit Sauerrahm, Knoblauch und Käse. Wirklich sehr lecker und bislang das erste vegetarische Gericht, das ich kennen gelernt habe.
Das waren die Höhepunkte, der Tiefpunkt erwartete uns zuhause. Unsere Wohnung war von einer seltsamen Spezies von Einbrechern heimgesucht worden. Man hat uns sämtliche Süßigkeiten, Wurst und Käse geklaut. Meinen Laptop und meine herumliegende Geldbörse (inklusive Inhalt) wurden allerdings verschont. Wir haben scharfsinnig kombiniert, dass ein paar Kinder wohl die Gunst der Stunde genutzt haben und durch das Badezimmerfenster eingestiegen sind. Das Fenster ist in etwa 2,30 m Höhe angebracht und nur 30 cm hoch, deshalb muss uns irgendwie entgangen sein, dass es offen war (Anm. d. Autorin: ICH wars nicht!). Inzwischen kann ich schon drüber schmunzeln, aber gestern Abend war es doch ein komisches Gefühl, zu wissen, dass jemand in meinem Zimmer war und sogar die Tüte Gummibärchen in meinem Koffer gefunden hat. Wer weiß, wo der sonst noch überall gesucht hat.
Die neue Woche habe ich mit einer kalten Dusche begonnen. Wer mich kennt, weiß, dass ich nichts mehr liebe als ausgedehnte Duschen mit eiskaltem Wasser. Es belebt und stärkt den Kreislauf. …So und jetzt die ehrliche Version: Der Boiler streikt und ich habe ihn dafür in allen mir bekannten Sprachen verflucht. Leider fühlt sich von unseren Ansprechpartnern keiner so richtig zuständig für dieses Problem. Ich schätze, dass unser Wasserverbrauch in den nächsten Tagen rapide absinken wird.
In der tánuda erwartete mich dann die nächste Überraschung. Allerdings eine weitaus schönere. Weil mich Kinder irgendwie zu mögen scheinen, wurde mir angeboten, zwei Mal die Woche im Kindergarten mit den Kids eine Art „Spiel-, Sing- und Tanzstunde“ auf Englisch zu veranstalten. Das Schöne daran ist, dass ich dabei schon eigene Ideen umsetzten kann, ohne fließend ungarisch sprechen zu können. Damit ich als Nicht-Pädagogin allerdings nicht ganz ins kalte Wasser geschmissen werde (tada Wortspiel ;-), werde ich nächste Woche in einem englischen Kindergarten in Pécs hospitieren. Frühkindliche Sprachförderung im Crashkurs sozusagen. Ich habe natürlich auch ein paar Zweifel, gerade weil ich diesbezüglich noch gar keine Erfahrung habe. Aber andererseits sehe ich ja, wie wenig Englisch die Jugendlichen hier selbst nach 5 bis 8 Jahren Unterricht können. Selbst wenn ich total versage, wird das die Sprachkompetenz der Kinder also kaum verschlechtern können.
So ich glaube, damit seid ihr jetzt wieder auf dem aktuellen Stand. Der Beitrag ist doch länger geworden, als geplant und ich hoffe, ihr verzeiht mir gelegentliche Ausschweifungen. Es ist mir immer schon schwer gefallen, mich kurz zu fassen, besonders wenn es so vieles gibt, was ich gerne erzählen möchte.
Vielen Dank außerdem für die Grüße und Kommentare. Ich freue mich immer über Rückmeldungen! :-)
Eine angenehme Nachtruhe und die liebsten Grüße
Sarah
sari1991 am 24. September 13
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Gott und die Russen
Achtung! In nachfolgendem Beitrag könnte Ihnen SARKASMUS begegnen. Sollte dies geschehen, bewahren Sie bitte Ruhe und verfallen Sie nicht in Panik. Der bellt nur, der beißt nicht.
Was bisher geschah: Gestern ist unsere Gruppe um weitere 14 Freiwillige erweitert worden. Sie sind erst jetzt gekommen, weil sie aus der Ukraine, Rumänien und Kroatien kommen und der jeweils dort lebenden ungarischen Minderheit angehören. Eigentlich hatte ich ja damit gerechnet, mit meiner ukrainischen Mitbewohnerin in Magyardmecske russisch reden zu können, damit ich das nicht ganz verlerne. Es stellte sich aber bald heraus, dass sie mit "Dobrij djen" genauso wenig anfangen kann, wie mit "How are you". Ergo muss ich ganz, ganz schnell ungarisch lernen.
Der heutige Tag stand dann ganz unter dem Motto: Wir lernen uns und das Land in dem wir uns befinden kennen!
(Für das weitere Verständnis sollte ich an dieser Stelle vielleicht nochmal erwähnen, dass meine Aufnahmeorganisation hier der reformierten Kirche angehört.)
Auf diverse Kennenlernspielchen am Vormittag folgte ein 3stündiger, sehr informativer Vortrag am Nachmittag. Ich konnte mich jedoch des Eindrucks nicht entwehren, dass die Inhalte dieses Vortags von der religiösen Überzeugung meiner Gastgeber gefärbt waren. So habe ich unter anderem gelernt, dass sämtliche Forschung in der historischen Linguistik obsolet ist, weil Adam und Eva im Paradies offenkundigerweise ein und die selbe Sprache gesprochen haben. Des Weiteren war ich bisher mit dem Irrglauben durch die Welt gegangen, dass der Niedergang der Sowjetunion überwiegend ökonomischen Faktoren geschuldet war. Jetzt weiß ich, dass Gott höchstpersönlich die Russen aus Ungarn vertrieben hat.
Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass ich den Tag sehr genossen habe und ich meine Mitbewohnerin auch sehr sympathisch finde (wir haben heute die Hand-und-Fuß-Kommunikation für uns entdeckt). Außerdem bin ja wirklich tolerant, was andere Meinungen angeht.... da darf der 5-Jahres Plan der UdSSR auch ein perfider Plan Gottes gewesen sein ;)
Sarah
sari1991 am 13. September 13
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