Freitag, 4. Oktober 2013
Darauf wäre Kafka neidisch...
Hallo meine Lieben ich habe gestern eine Geschichte erlebt, die es wert ist, aufgeschrieben zu werden:

"Können Sie bitte genauer beschreiben, um was für eine Art von Käse es sich handelte?", fragte der Polizist und blickte mich dabei mit todernster Miene an.
Der genaue Sinn seiner Worte verbarg sich dabei leider hinter genuscheltem Ungarisch, weshalb meine Mentorin für mich übersetzten musste. Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich den ersten Polizisten mit Sinn für Humor vor mir stehen hatte, oder ob der das ernst meinte. Das ungeduldige Klicken seines Kugelschreibers überzeugte mich dann aber doch davon, dass es unangebracht wäre, laut loszulachen. Stattdessen versuchte ich ihm begreiflich zu machen, dass es weißer Käse war, liebevoll in kleine Dreiecke verpackt. Mit einem verständigen Nicken nahm er es zur Kenntnis und notierte es.
"Und die Schokolade? Welche Marke? Wieviel?"

Am Tag zuvor:

"Marcsi?"
Keine Antwort
"Marcsiii?"
Wieder keine Antwort.
Minuten zuvor hatte ich den Nachbarjungen von unserer Haustür vertrieben, wo er es sich zum Spaß gemacht hatte Klingelstreiche zu spielen. Sicherheitshalber hatte ich die Tür abgeschlossen. Dann jedoch musste einem dringenden Bedürfnis Genüge getan werden. Als ich von der Toilette zurückkehrte gaffte mich eine weit offen stehende Haustür an. Wie war das möglich? War Marcsi unerwartet früher zurück gekommen? Wer sonst könnte die abgeschlossene Tür öffnen (und ja, ich hatte sie mit 100%iger Sicherheit abgeschlossen, was ich später auch verzweifelt der Polizei klar zu machen versuchte).
Nachdem die erste Schrecksekunde verstrichen war, stürmte ich in die Küche um nachzusehen, ob mein Laptop noch da stand, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Er stand! Aber was war denn das: dreckige Fußabdrücke auf dem blitzblank sauberen Küchenboden. Sie führten zielstrebig in Richtung Kühlschrank und Speisekammer. Ein Blick hinein verriet mir, dass ER wieder zugeschlagen hatte: der berühmt, berüchtigte SCHOKODIEB. Die gerade erst eigens aus Deutschland importierte Kinderschokolade und eine Stange Maoam konnte sich ebenso zu seinen Opfern zählen, wie Marcsis innig geliebter dreieckiger Käse.

Aber wie nur war er in das Haus gelangt? Handelte es sich hier etwa um eine höhere Macht? War er vielleicht mein personifiziertes schlechtes Gewissen, das mir die Schokolade nicht gönnen wollte? War er etwa ein WeightWatchers-Wichtel? Oder hatte ich ihn mir nur eingebildet? Bin ich vielleicht schizophren geworden und habe den Käse selbst geklaut?
Dererlei wirre Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, dass ich gar nicht auf die Idee kam die Polizei zu rufen. Ich fürchtete viel mehr ausgelacht zu werden, vor allem weil ich ja immer noch nicht erklären konnte, wie die Tür geöffnet wurde. Stattdessen versteckte ich meine Wertsachen im Kleiderschrank und ging zur Arbeit. Erst beim Abendessen mit meiner Mitbewohnerin (und ohne Käse) beschloss ich den Vorfall zu erwähnen. Ich hatte zwischenzeitlich schon zu zweifeln begonnen, ob ich die Tür nicht doch vielleicht offen gelassen hatte.
" Also, Marcsi....du fragst dich vielleicht, wo dein Käse geblieben ist. Ich fürchte, wir haben da ein kleines Problem mit dem Türschloss, -"
Hier unterbrach sie mich:
"Dir ist es also auch passiert? Grade fünf Minuten, bevor du kamst, war dieser Bengel wieder da und er stand plötzlich im Hausflur, obwohl ich mir sicher bin, dass die Tür abgeschlossen war!"
Was fiel mir da ein Stein vom Herzen. Der Beweis war erbracht, dass mein Gedächtnis, welches völlig unverdient den Spitznamen "das Sieb" trägt, mich nicht betrogen hatte. So kam es, dass wir tags drauf schließlich doch die Männer in blau nach Magyarmecske holten.

Gleich mit zwei Wagen rückte eine Truppe von Gesetzeshütern an. Ich wurde gebeten, den Tathergang möglichst detailliert zu schildern und so kam es, dass ich plötzlich mit einem ungarischen Polizisten darüber spekulierte, was wohl der ungefähre Wert einer Stange Maoam in Forint sei . Nachdem diese Frage geklärt und auch die genaue Art der Schokolade und des Käses Eingang in ungarische Polizeiakten gefunden hatten, musste der Tatort natürlich fotografiert werden. Die Küche, der Kühlschrank (einmal mit offener, einmal mit geschlossener Tür), die Speisekammer (selbes Prozedere) und aus irgendeinem unerfindlichen Grund auch mein Zimmer (vielleicht war es mein rosanes Schlafanzugoberteil mit Schmetterling drauf, was die Neugierde des Fotografen geweckt hatte).
Schließlich gelangten die Beamten zu dem Schluss, dass wir uns gerirrt haben mussten und die Tür offen gewesen war. Denn es waren ja keine Einbruchsspuren zu sehen.
Die Logik dieser Schlussfolgerung wagte ich nicht in Frage zu stellen, allein wusste ich nun mal, dass sie falsch war. Also zog ich Marcsi zur Seite:
"Was denkst du: könnte es einen dritten Schlüssel geben?"
"Hmmm...darüber habe ich noch nicht nachgedacht"
"Zumindest in Deutschland gibt es zu jedem Schloss 3 Schlüssel, Meinen, deinen und...?
Die Erkenntnis traf uns wie ein Schlag. Es musste einen dritten Schlüssel geben. Ich überließ es Marcsi, das den Polizisten schonend beizubringen und stellte mir nur vor, wie sich der Junge wohl fühlen würde, wenn die Polizei seine verdächtig schokoverschmierten Fingerabdrücke nehmen würde...

Heute, einen Tag später, weiß ich, dass unsere Vermutung zutraf. Das Ganze hatte sich folgendermaßen zugetragen. Kurz bevor wir Mitte September hier ankamen, wurde das Schloss an der Haustüre ausgewechselt von keinem geringeren, als dem Vater des Jungen. Dieser hatte sich dabei wohl irgendwie einen Schlüssel angeeignet und hat sogar zugegeben, bei seinem ersten Beutezug absichtlich das Badezimmerfenster von innen geöffnet zu haben, um eine falsche Fährte zu legen. Clever, clever...
Die Schuldirektorin, die die Verantwortung für die Wohnung trägt, zeigte sich einigermaßen beschämt über den Zwischenfall und so kommt es, dass wir mittlerweile nicht nur ein neues Schloss haben, sondern auch noch ein paar Möbel. Juppie! Zur Feier des Tages haben wir darauf erst mal ein Käsebrot gegessen und zum Nachtisch gabs Milkaschokolade (die mit den weißen Flecken...fürs Protokoll :)

Hoffe ihr hattet mit dieser Anekdote genau soviel Spaß wie wir. Es war mal wieder einer dieser Tage, wo man sich nicht sicher sein kann, ob man morgens wirklich aufgestanden ist, ober ob man immer noch im Bett liegt und träumt.
Ich für meinen Teil hoffe, dass ich zumindest jetzt wirklich in meinem Bett liege und wünsche euch allen eine gute Nacht und schöne Träume!
Sarah