Dienstag, 29. Oktober 2013
Don Zoltán und seine Windmühlen
Hallo meine Lieben,

jetzt hab ich euch doch schon wieder so lange warten lassen. Lag vielleicht daran, dass ich meine Freizeit in der letzten Woche damit verbracht habe melancholische Musik zu hören (unter anderem auch Grönemeyer...ja lieber Ruhrpott, du fehlst mir) und versucht habe mir selbst in den Hintern zu treten. Das habe ich inzwischen aufgegeben. Unter anderem auch weil ich der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens gewahr wurde.

Angefangen hat alles damit, dass ich hier manchmal unter einem richtigen Kommunikationsstau leide. Ich rede einfach gerne mit Menschen und es ist so schade, wenn es am Medium scheitert. So kam es, dass ich angefangen habe meine Muttersprache richtig schmerzlich zu vermissen. Und mit dem Vermissen ist das ja so eine Sache; hat man erst einmal damit angefangen...
Da fragt man sich dann doch irgendwann, warum genau man jetzt eigentlich noch mal unbedingt weg musste und verfällt in diese Sorte abwägender Zwiegespräche. Nur musste ich auch dieses Zwiegespräch notgedrungen mit mir selbst führen. Dabei stellte sich heraus, dass ein Teil meiner multiplen Persönlichkeit zu einer latenten Gewaltbereitschaft neigt und seine Argumente irgendwann mit besagtem Tritt ins Gesäß untermauern wollte. Aber da waren wir ja schon.... ich will jetzt auch nicht über Heimweh jammern. Das ist nicht unbedingt ein sehr originelles Thema in einem Auslandsblog.

Ich werde euch einfach ein bisschen was von dem erzählen, was meinen Gesprächsbedarf in der letzten Woche angereizt hat. Ich war noch einmal in Pécs, um meinen Pädagogik Crashkurs ein bisschen zu erweitern und habe in diesem Rahmen eine Lehrerin kennengelernt, die in einem Gymnasium arbeitet, das auch Schüler aus Gilvánfa besuchen. In dem üblichen Smalltalk kamen wir darauf zu sprechen, was genau ich denn als Freiwillige in Ungarn mache und wo ich arbeite. Als ich darüber Auskunft gab, starrt die Frau mich schockiert an und sprach mir mit ganz belegter Stimme ihr tiefstes Mitleid aus. Dass ich d o r t arbeiten m ü s s e , das sei ja eine Zumutung und diese Zigeuner würden doch alle stinken und seinen doch ohnehin alle sehr einfach gestrickt. Ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass ich mich freiwillig auf diese Arbeit beworben habe, dass sie mir sehr gefällt und dass ich sehr clevere und wohlriechende Kinder kennen gelernt habe. Daraufhin versuchte sie natürlich in großen Bögen zurück zu rudern á la: Ich bin ja wirklich kein Rassist, ABER... und ein Bekannter von mir hat da was erlebt und natürlich sind nicht alle so, ABER....

Mich haben bei dieser Unterhaltung zwei Dinge gewundert. Zum einen, dass sie sich in ihrer Funktion als Lehrerin nicht einmal die Mühe macht ihre Vorurteile ab und an zu hinterfragen und wenigstens versucht den Schülern unvoreingenommen gegenüber zu treten. Zum Anderen, dass sie ihre Meinung mit einer Selbstverständlichkeit zum Besten gegeben hat, die darauf schließen lässt, dass sie meistens positives Feedback darauf bekommt.

Die nächste interessante Begebenheit betrifft den Kindergarten in dem ich Englischunterricht gebe. Wobei es weniger eine Begebenheit ist, als vielmehr ein Zustand. Mir ist aufgefallen, dass die Kinder es nicht gewöhnt zu sein scheinen unter Anleitung zu spielen oder zu basteln. Egal was ich mit ihnen mache, alles muss ich von Grund auf erklären, sogar so einfache Dinge wie "jetzt machen wir einen Stuhlkreis". Da habe ich mich gefragt, was die sonst so den ganzen Tag machen und bin einfach mal "aus versehen" eine Stunde früher rein geplatzt um ein bisschen zu spionieren. Ich habe drei Erzieher gesehen, die Kaffee getrunken und in Zeitschriften geblättert haben, während überall Kinder herum gerannt sind, sich geprügelt haben, Dinge kaputt gemacht haben, ohne dass mal jemand eingegriffen hätte. Ich hatte den Eindruck, dass die Kinder dort wirklich nur verwahrt werden, ohne dass sich jemand großartig darum kümmert, was sie machen. Dieser Eindruck hat sich gefestigt, als ich mit einer Frau gesprochen habe, die ihre Tochter jeden Tag eine halbe Stunde mit dem Fahrrad in den Kindergarten zwei Dörfer weiter bringt. Schließlich habe ich auch mit meinem Chef darüber gesprochen und er meinte, dass die Motivation der Erzieherinnen gegen Null tendiert, weil sie ja "nur" in einem Zigeunerkindergarten arbeiten.

Man stelle sich einmal einen kleinen Zoltán vor, der kaum dass er drei Jahre als ist das erste Mal mitbekommt, dass er "nur" ein Zigeuner ist. Das gleiche geht dann in der Grundschule und offensichtlich auch am Gymnasium weiter. Ich kann mir vorstellen, dass es ganz schön anstrengend ist immer wieder gegen Windmühlen zu kämpfen. Ich kenne Jugendliche in Gilvánfa, die leider jedes Vorurteil bestätigen aber was war wohl zuerst da: das Kind oder das Vorurteil.

Das macht einen schon ein bisschen nachdenklich. Auch weil das ja nicht erst seit gestern so läuft und nicht nur in Ungarn und auch nicht nur mit den "Zigeunern". Diese Variablen kann man beliebig ersetzten, ohne dass sich an dem Ergebnis etwas ändert.
Ich nehme mal an, wenn wir nach ein paar Jahrtausenden Menschheitsgeschichte immer noch nicht wissen, warum wir uns nicht einfach alle lieb haben können, werde ich die Antwort jetzt auch nicht entdecken...leider.

So das wars dann auch an tiefsinniger Philosophie. Ich wünsche euch eine gute Nacht und auch ansonsten nur das Beste.
Fühlt euch geknuddelt!
Sarah